Absetzbewegung

Die heu­ti­ge Bedeu­tung des Wor­tes «Absetz­be­we­gung» als «Flucht», «Rück­zug« oder «Distan­zie­rung» geht auf die Berich­te der Abtei­lung Wehr­macht­pro­pa­gan­da wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs zurück. Von Sep­tem­ber 1939, dem ers­ten Tag des Über­falls auf Polen, bis zur Kapi­tu­la­ti­on im Mai 1945 wur­den die Berich­te in den Mit­tags­nach­rich­ten des Rund­funks ver­kün­det und in Zei­tun­gen abge­druckt. Die Ankün­di­gung «Das Ober­kom­man­do der Wehr­macht gibt bekannt» beglei­te­te stets ihre Ver­öf­fent­li­chung.

Bereits 1944 fand das Wort «Absetz­be­we­gung» Ein­gang in das in den USA erschie­ne­ne Wör­ter­buch «Nazi-Deutsch». Es basiert auf dem bereits seit etwa 1400 ver­ein­zelt ver­wen­de­ten Wort «abset­zen» im Sin­ne von «flüch­ten». Die Ver­fas­ser der Wehr­macht­be­rich­te und ähn­li­cher Pro­pa­gan­da­or­ga­ne schu­fen jedoch das Kom­po­si­tum «Absetz­be­we­gung» im Jahr 1942, als der bis­her unauf­halt­sa­me Vor­stoss der deut­schen Armeen gestoppt wur­de und ers­te Rück­zü­ge unver­meid­lich waren. Nach der Nie­der­la­ge in Sta­lin­grad Anfang 1943 wur­de die­ser beschö­ni­gen­de Begriff häu­fi­ger ver­wen­det. In der Zeit­schrift «Euro­päi­sche Revue» fin­det sich im Herbst des­sel­ben Jah­res fol­gen­de Aus­sa­ge: «Seit Sep­tem­ber fin­det im Mit­tel- und Süd­ab­schnitt eine plan­mäs­si­ge Absetz­be­we­gung und gross­zü­gi­ge Front­be­gra­di­gung statt.»

Aller­dings berich­te­ten die gehei­men Lage­be­rich­te des Sicher­heits­diens­tes der SS bereits Anfang 1944, dass die Emp­fän­ger der Wehr­macht­be­rich­te die Wahr­heit hin­ter dem ver­schlei­ern­den Wort und sei­nen Syn­ony­men wie «Front­be­gra­di­gung» und «Front­ver­kür­zung» längst erkannt hat­ten: «Die Stim­men zum Gesche­hen an der Ost­front sind denk­bar pes­si­mis­tisch. Im merk­wür­di­gen Gegen­satz zu den Berich­ten des OKW ste­hen die Erzäh­lun­gen der Ost­front­ur­lau­ber, in denen die Absetz­be­we­gun­gen als regu­lä­re Flucht beschrie­ben wer­den.»

Nach 1945 erhiel­ten sowohl «sich abset­zen» als auch «Absetz­be­we­gung» eine ganz ande­re, nicht mili­tä­ri­sche Bedeu­tung, wobei die Her­kunft aus der NS-Pro­pa­gan­da im Fal­le des Verbs noch stär­ker in Ver­ges­sen­heit geriet.

Der Sprachaufklärer meint

Heu­te haben «Absetz­be­we­gung» und «sich abset­zen» einen bei­na­he par­odis­ti­schen Sinn, der vor­aus­setzt, dass man den ver­schlei­ern­den Cha­rak­ter die­ser Wör­ter kennt. Bei­spiels­wei­se wird davon gespro­chen, dass sich ein Ehe­mann mit einer ande­ren Frau abge­setzt hat oder dass eine Par­tei in einer Regie­rungs­ko­ali­ti­on Absetz­be­we­gun­gen macht. Der Gebrauch des Begriffs ist aber meist unpro­ble­ma­tisch.

Der Duden rät

Der Duden nennt etwa «Rück­zug» als Alter­na­ti­ve zum Wort «Absetz­be­we­gung».

© sprachaufklaerer.ch – 10. Juni 2023