Die Bezeichnung «WinkeladvokatIn» existiert seit dem 19. Jahrhundert und wird abschätzig für eineN unseriöseN RechtsanwältIn verwendet, der/die sich mit Tricks und Täuschungen für ihre KlientInnen einsetzt. Im Nationalsozialismus wurden auch jüdische AnwältInnen als «WinkeladvokatInnen» bezeichnet und ihnen 1938 die Berufstätigkeit verboten.
Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm enthält eine lange Liste von Begriffen, die mit «Winkel-» beginnen und oft eine abwertende Bedeutung haben. Einige dieser Wörter sind bereits seit 500 Jahren in Verwendung. Zum Beispiel bezeichnete im 16. Jahrhundert der Begriff «Winkelschreiber» eine Person, die ohne offizielle Lizenz ihren Beruf als Schreiber ausübte.
In diese Kategorie unseriöser Berufstätiger mit mangelhafter Ausbildung oder fehlender Zulassung gehören neben den «WinkeladvokatInnen» auch «WinkelagentInnen», «WinkelärztInnen» (bereits 1571 für Quacksalber), «WinkelkonsulentInnen» usw. Andere alte Wortzusammensetzungen weisen auf zweifelhafte oder versteckte Aktivitäten hin, wie z.B. «Winkelehe», «Winkelweib», «Winkelhochzeit» und «Winkelkind». Oder sie beziehen sich auf zwielichtige Orte wie «Winkelhaus» und «Winkelkneipe». Besonders im 19. Jahrhundert wurde «Winkel-» kreativ vor alles Mögliche gestellt, was als minderwertig angesehen wurde, z.B. «WinkelschriftstellerIn», «Winkelzeitung» oder «Winkelblatt». Es wurde gar über die «Winkelnation» und das «Winkelvolk» geschumpfen.
«WinkeladvokatIn» war also immer eine beleidigende Bezeichnung und kein Anwalt bezeichnete sich selbst so. Anfangs bezog sich der Begriff auf die mangelnde Ausbildung, aber später erweiterte sich das Bild vom «Winkeladvokaten» auf den kleinen Rechtsanwalt, der mit Theatralik und Taschenspielertricks versucht, seine Defizite zu kaschieren. Daher wurde er oft in volkstümlichen Komödien verwendet.
Deutsche AntisemitInnen, insbesondere die NationalsozialistInnen, projizierten dieses negative Bild einer RechtsanwältIn gerne auf jüdische AnwältInnen. Die Bezeichnung «WinkeladvokatIn» entsprach dem alten antisemitischen Stereotyp des «hinterhältigen Juden». Zudem waren relativ viele jüdische RechtsanwältInnen tätig: Im Jahr 1933 betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland 0,76%, jedoch waren 16% aller RechtsanwältInnen jüdisch. Das war der höchste Anteil unter allen Berufen (vor 15% der MaklerInnen und KommissionärInnen, 13% der PatentanwältInnen und 11% der ÄrztInnen). Mit dem Anwaltszulassungsgesetz von 1933 verloren viele jüdische AnwältInnen ihre Zulassung und im Sommer 1933 wurde ihnen auch das Auftreten vor Gericht untersagt. Im Jahr 1935 erliess das NS-Regime das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz, das erstmals in Deutschland Vorschriften für die Rechtsberatung festlegte. Es richtete sich sowohl gegen ungeeignete RechtsberaterInnen («Winkelkonsulententum») als auch gegen jüdische AnwältInnen. Diese Unterscheidung zeigt, dass der Begriff «WinkeladvokatIn» selbst im Nationalsozialismus nicht ausschliesslich auf JüdInnen angewandt wurde. Den verbliebenen jüdischen AnwältInnen wurde mit der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz im Jahre 1938 endgültig ein Berufsverbot auferlegt.
Heutzutage wird der Begriff «WinkeladvokatIn» gelegentlich immer noch verwendet, in der Regel um eine unseriöse oder schlechte AnwältIn zu beschreiben. In rechtsradikalen deutschen Publikationen wird er jedoch als antisemitische Beleidigung gegen jüdische JuristInnen verwendet.
Der Sprachaufklärer meint
«Winkeladvokat» ist zweifelsohne eine abwertende Bezeichnung für eineN durchtriebeneN, aber nicht sonderlich fachkundigeN Juristen/Juristin. Der Begriff war lange vor der Nazizeit bekannt. Dass diese es aber mit Bezug auf jüdische Berufsleute gerne und häufig nutzten, sollte man sich bei der Verwendung des Begriffs bewusst sein.
Der Duden rät
Der Duden hält kein Synonym bereit, umschreibt aber den «Winkeladvokaten» so: «Anwalt, der [ohne rechtliche Befugnis] mit fragwürdigen Mitteln [ohne die erforderlichen Kenntnisse] arbeitet.»