Der Begriff «alttestamentarisch» ist ein Beispiel für einen Schlüsselbegriff aus der antijüdischen Propaganda des Nationalsozialismus, der heute oft unwissentlich gebraucht wird, obwohl Fachleute der Theologie, der Altorientalistik und anderer Disziplinen, die sich mit dem Alten Testament befassen, schon seit Langem davon abraten.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist die Verwendung des Begriffs dokumentiert. Ursprünglich bedeutete er neutral «zum Alten Testament gehörend» oder «aus dem Alten Testament stammend». So schrieb Christian August Heinrich Clodius 1804 über den Bibelstil: «So wie die Geschichte der Erzväter, wo Gott in der Natur dem Menschen noch näher war, eine naiv schöne Poesie ist, so hat in der prophetischen Poesie der alttestamentarische Stil die letzte Höhe der Heftigkeit und des Grauens erreicht.»
Schon Clodius› Worte zeigten eine Richtung auf, in die sich die Bedeutung im 19. Jahrhundert verschob. Allmählich bekam «alttestamentarisch» einen neuen Unterton: «Heftigkeit», «Grauen» und strikte Strenge wurden in der Vorstellung vieler Autoren ein bestimmendes Element der jüdischen Bibel, der dort handelnden Figuren und Gottesbilder.
Auch reformierte oder konvertierte Juden, die sich möglicherweise inhaltlich von der Orthodoxie ihrer Vorfahren abgrenzen wollten, verwendeten den Begriff gelegentlich in diesem Sinne. Karl Marx etwa spottete 1852 in «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte» über den «alttestamentarischen Aberglauben an den Buchstaben des Gesetzes».
Schon früh wurde «alttestamentarisch» auch von Antisemiten als Lieblingsbegriff verwendet, oft als Synonym für «jüdisch» in hetzerischen Texten. Hartwig von Hundt-Radowsky, ein früher Vertreter des modernen Antisemitismus, benutzte ihn in seiner Schrift «Die Judenschule» von 1822.
Unter Hitler und Goebbels erhielt der Begriff endgültig die Funktion eines Schimpfwortes, das deutsch und arisch abwertend gegenübergestellt wurde. Hitler hetzte in einer Reichstagsrede am 30. Januar 1939 gegen die Juden: «Die Völker wollen nicht mehr auf den Schlachtfeldern sterben, damit diese wurzellose internationale Rasse an den Geschäften des Krieges verdient und ihre alttestamentarische Rachsucht befriedigt.» Goebbels notierte 1942 in seinem Tagebuch: «Die Auslandshetze gegen Heydrich nimmt von Stunde zu Stunde zu. Die Juden toben sich in einer Form aus, die man nur als alttestamentarisch bezeichnen kann.» In dieselbe Richtung zielte auch Reinhold Krause, «Gauobmann» der Berliner «Deutschen Christen», als er am 13. November 1933 das «Alte Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral» und seine «Viehhändler- und Zuhältergeschichten» im Berliner Sportpalast verurteilte.
Angesichts dieser historischen Belastung rät das wissenschaftliche Portal der Deutschen Bibelgesellschaft heute vom Gebrauch des Begriffs ab: «Das Adjektiv ‹alttestamentarisch› bleibt durch seine Verwendung im Nationalsozialismus eindeutig negativ besetzt und belastet.»
Der Sprachaufklärer meint
Wer sich eingehender mit der Bibel beschäftigt, verwendet bevorzugt das Adjektiv «alttestamentlich». Das folgt keiner Sprachvorgabe, sondern ist – wie so oft in solchen Fällen – eine Frage von Stil und Geschmack.
Der Duden rät
Der Duden hält «alttestamentlich» für die bessere Lösung. Zur Bedeutung von «alttestamentarisch» schreibt er: «nach Art des Alten Testaments, besonders in Bezug auf übertriebene Strenge oder Ähnliches. Gebrauch: oft abwertend»